Der Gerichtsprozess gegen einen der Betroffenen endete, am Freitag den 7.8.2015 nach einer einstündigen Verhandlung, mit einem Freispruch. Beantragt hatte diesen, neben dem Verteidiger, die Staatsanwaltschaft. Dies erscheint als ein Fortschritt im Umgang mit kritischem Protest gegen das geschichtsrevisionistische Gedenken zum 13.Februar. Seit Jahren wird das “stille Gedenken” auf dem Neumarkt um 21:45 Uhr von Protest begleitet, wobei diesem stets mit Repression begegnet wurde. Im Jahr 2014 gelang ein juristischer Durchbruch, als das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die öffentliche Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof am 13.02. eine politische Veranstaltung sei und Gegenprotest somit auch zulässig und durch die, im Gundgesetz verankerte, Meinungsfreiheit geschützt sei. Nach diesem Urteil musste der Fall am Dresdner Amtsgericht neu verhandelt werden, dies erfolgte durch den Richter Jochen Meißner, der nun auch den Prozess am Freitag verhandelte. Offensichtlich hatte, wenn schon nicht das Ordnungsamt, dann so doch das Gericht vom Entscheid des Bundesverfassungsgerichts gelernt und im ähnlich gelagerten, aktuellen Fall entsprechend entschieden.
Der Prozess begann mit einer Einlassung des Betroffenen, in der er seine Motivation zu diesem Protest und dem gewählten Sprechchor darlegte und noch einmal bekräftigte, dass er nach wie vor dahinter stehe (Die Einlassung ist am Ende des Textes zu finden). Anschließend wurde ein Mitarbeiter der Polizeibehörde, welcher am Abend des 13.Februar am Neumarkt eingesetzt war, als Zeuge befragt.
Dieser behauptete, es sei möglich gewesen vor Ort spontan eine Versammlung anzumelden. Jede_r der_die schon einmal zu diesem Zeitpunkt auf dem Neumarkt war und dazu schon von den Besonderheiten des sächsischen Versammlungsgesetzes gehört hat, wird sich vorstellen können, welche Erfolgsaussichten dieser Versuch gehabt hätte. Es ist außerdem recht schwierig eine Versammlung anzumelden, wenn dazu keine Chance mehr gegeben wird aufgrund eines sofort erfolgten Abführens der Protestierenden.
Es folgte das Plädoyer der Staatsanwältin, weche damit überraschte, dass sie einen Freispruch beantragte und erklärte, dass die Intention des Betroffenen nicht das Belästigen gewesen sei, sondern er seine politischen Ansichten zu den Geschehnissen äußern wollte. Sie erkannte das “stille Gedenken” auf dem Neumarkt als eine politische Veranstaltung an, konträre Meinungen seien durch das Grundgesetz (freie Meinungsäußerung) geschützt und müsse so auch, von den dort Gedenkenden, ausgehalten werden.
Die Verteidigung ging einen Schritt weiter, erzählte von seinen eigenen ersten Eindrücken des Umgangs der Stadt mit der Bombardierung und unterstrich die Standpunkte der radikalen Kritiker_innen des Gedenkens mit Zitaten aus dem Buch “Gedenken abschaffen” des Autor_innenkollektivs Dissonanz.
Der Richter sprach den Betroffenen frei, die Kosten trägt nun der Staat. In seiner Erklärung schloss er sich der Staatsanwältin weitestgehend an und fügte hinzu, er wolle solch einen Fall kein weiteres Mal verhandeln müssen. Wir hoffen, dies merkt sich auch das, durch eine anwesende Person vertretene, Ordnungsamt. Der Richter erklärte, die Tat würde dem §118 des Ordnungswidrigkeitengesetzes, “Belästigung der Allgemeinheit” nicht gerecht, da dieser vor allem Fälle auffangen soll, welche die Öffentlichkeit massiv stören, belästigen oder gefährden, die sonst aber keinem Gesetz zuzuordnen seien. Die Handlungen des Betroffenen füllen diesen Tatbestand nicht aus. Er machte auch deutlich, dass die Störung jedoch erheblich schwerer gewesen wäre, wenn Kundgebungsmittel wie z.B. Transparente genutzt worden wären. Jedoch betonte er, dass die verhandelte Form des Protests durch das Grundgesetz gedeckt sei und der von der Polizei ausgesprochene Platzverweis nicht zulässig war. Schließlich ging er auf das Versammlungsgesetz ein und merkte an, dass Versammlungen am Neumakt zum 13.Februar eingeschränkt werden könnten, dies müsse jedoch zuvor je nach Gefahrenlage entschieden werden.
Es konnte zwar erreicht werden, dass das “stille Gedenken” auf dem Neumarkt endlich als eine politische Veranstaltung anerkannt wurde und somit auch Gegenprotest zulässig ist. Dies sollte alle Kritiker_innen ermutigen, ihren Protest auch unmittelbar zu äußern. Es bleibt aber abzuwarten, wie die Exekutive mit dem Protest folglich umgehen wird, es lohnt sich auf jeden Fall, für die Äußerung des Protests auch juristisch zu streiten.
Bei dieser Form des Protests werden wohl aber die Mehrheit der Menschen, welche dieses geschichtsrevisionistische Treiben ebenfalls kritsieren, nicht eingebunden werden können. Hierfür wäre vielmehr eine angemeldete Veranstaltung ein geeignetes Mittel, doch schon die Ausführungen des Richters bezüglich des Verwendens von Transparenten und seine Erwähnung der Einschränkungsmöglichkeiten des sächsischen Versammlungsgesetzes machen deutlich, dass es noch ein weiter Weg ist, bis die Gedenkkritiker_innen endlich ihren Widerspruch zum Treiben auf Augenhöhe vorbringen können.
Wir danken recht herzlich all den Unterstützer_innen die zum Prozess gekommen sind und von denen nur ein Bruchteil die Verhandlung, in dem viel zu kleinen Raum, verfolgen konnten, während der Großteil vor dem Saal auf das Urteil und die Berichte über den Prozessverlauf warteten. Wir haben uns sehr gefreut, dass ihr alle da wart.
Nun bleibt noch abzuwarten, ob das Verfahren eines anderen Betroffenen eingestellt wird und ob der Widerspruch gegen die ungünstige und falsch begründete Kostenentscheidung bei einem der eingestellten Verfahren Erfolg haben wird.
Wir können nur dazu ermutigen, eigener Kritik an Geschichtsrevisionismus an Ort und Stelle Ausdruck zu verleihen und gegen Einschüchterungsversuche anzukämpfen. Wenn es sein muss jedes Jahr aufs Neue! Continue reading